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Erik Klüssendorf-Mediger

Ein Filmprogramm zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution

Aktualisiert: 24. Apr.

Am 25. April 1974 stürzte das Militär in Portugal das autoritäre Regime. Unter der Führung von António de Oliveira Salazar und später Marcelo Caetano hatte die Estado Novo-Regierung seit 1933 geherrscht. Die sogenannte Nelkenrevolution brachte jedoch das Ende von 48 Jahren faschistischer Diktatur, die die Bürger durch eine Geheimpolizei überwachte, die Opposition gewaltsam unterdrückte und koloniale Besitzansprüche in Afrika (u.a. Guinea-Bissau, Mosambik und Angola) aufrechterhielt. Benannt nach den Nelkenblumen, die während der friedlichen Revolution in die Gewehrläufe der Soldaten gesteckt wurden, symbolisierte die Nelkenrevolution Frieden und Solidarität. Sie markierte nicht nur den Übergang zu einer demokratischen Regierung, sondern auch das Ende des portugiesischen Imperiums, indem sie umfassende Demokratisierungs- und Dekolonisierungsprozesse einleitete und den Weg für die Unabhängigkeit einiger ehemaliger portugiesischer Kolonien in Afrika ebnete. Trotz ihres historischen Einflusses bleibt die Bedeutung der Nelkenrevolution oft im Schatten anderer Ereignisse.


Anlässlich des 50. Jahrestags habt Ihr allerdings die Chance vom 18. bis 23. April das Progamm 50 Jahre Nelkenrevolution – Filme als Archiv im Kino Arsenal in Berlin zu besuchen. Gezeigt werden sechs Filme aus verschiedenen Jahrzehnten, die sich auf ganz unterschiedliche Art mit dem revolutionären Umbruch und seinen Folgen beschäftigen.


 

Programm

 


 

Do 18.4., 20h Einführung: Robert Stock

AS AEMAS E O POVO  

Die Waffen und das Volk  

Colectivo de Trabalhadores da Actividade Cinematográfica  

Portugal 1974/75   OmeU 81‘

 

Am Anfang des unmittelbar nach dem 25. April 1974 begonnenen Dokumentarfilms stehen die Farbe Rot und „Grândola, Vila Morena“, die Hymne der Nelkenrevolution. Rot sind auch die Nelken in Gewehrläufen und Knopflöchern und das Meer aus Fahnen. Von einem Kollektiv realisiert, verbindet dieser Film in der Tradition des militanten Kinos einen Off-Kommentar, eine Rückschau auf die Geschichte des Regimes ab 1926 bis zu seinem Fall, Aufnahmen der Kundgebung am 1. Mai mit Reden gegen Faschismus und Kolonialismus sowie Straßen-Interviews, die der brasilianische Regisseur Glauber Rocha führt. Auch gerade freigelassene politische Gefangene und Deserteure kommen zu Wort. Ein Dokument, das die Freiheit feiert, voll revolutionärer Euphorie und Hoffnung auf eine neue Gesellschaft.


 

Fr 19.4., 20h Einführung: Robert Stock

BOM POVO PORTUGUÊS  

The Good People of Portugal  

Rui Simões  

Portugal 1980   OmeU 127‘

 

Mit sechs Jahren Abstand unternimmt der politisch-poe-tische ­Essayfilm eine kritische Reflexion der postrevolutionären Ereignisse bis zum 25.11.1975. Die künstlerische Montage von Archivmaterial, ein subjektives Voiceover und viel Musik, mal melancholisch, mal satirisch, stellt den Transformationsprozess hin zur Demokratie als komplex und konfliktreich dar: Provisorische Regierungen, Richtungskämpfe in der Bewegung der Streitkräfte MFA wie auch unter den Linken, fortdauernde Ausbeutung von (Land-)Arbeiter*innen, das Ende der Kolonialherrschaft in Afrika, die Problematik der Rückkehrer*innen aus den ehemaligen Kolonien und deren Unabhängigkeit finden Erwähnung. Ein von enttäuschten Hoffnungen geprägter Abgesang auf die Nelkenrevolution.

 

 

Sa 20.4., 19h Einführung: Tobias Hering  UM ADEUS PORTUGUÊS  

Ein portugiesischer Abschied  

João Botelho  

Portugal 1985   OmdU 85‘

 

Elf Jahre nach der Revolution (die unerwähnt bleibt) ist dies der erste portugiesische Spielfilm, der sich mit dem Kolonialkrieg (1961–1974) als kollektiv verdrängte Vergangenheit auseinandersetzt. Zwei ästhetisch unterschiedliche Erzählstränge wechseln sich ab: In Schwarz-Weiß ist ein Trupp junger Soldaten zu sehen, der 1973 durch den Wald eines afrikanischen Landes irrt, dabei fällt ein tödlicher Schuss. Den Szenen aus dem Krieg 1973 steht ein in kräftigen Farben gehaltener Besuch der Eltern des gefallenen Soldaten aus dem Norden Portugals im Jahr 1985 in Lissabon gegenüber, wo sie ihren zweiten Sohn und die verwitwete Schwiegertochter treffen. Die Begegnungen sind geprägt von Schweigen und der Unfähigkeit, sich über Verlust und Trauer zu verständigen – ein Mangel an Kommunikation, den der Film auch auf nationaler Ebene konstatiert.

 

 

Sa 20.4., 21h Einführung: Birgit Kohler A BATALHA DE TABATÔ  

The Battle of Tabatô  

João Viana  

Guinea-Bissau/Portugal 2013  

OmeU 78‘

 

João Vianas Langfilmdebüt, eine postkoloniale Erzählung in Schwarz-Weiß und Rot, nimmt eine afrikanische Perspektive ein. Der Vater von Fatu kommt anlässlich ihrer Heirat aus Portugal in sein Heimatland Guinea-Bissau zurück. Sie fahren zusammen in das Dorf Tabatô, wo die Hochzeit mit einem bekannten Musiker stattfinden soll. Auf dem Weg zeigt sich, dass der alte Mann in seinem Koffer Reliquien des Kolonialkrieges mit sich herumträgt und durch seine Erlebnisse als Soldat schwer traumatisiert ist. Er hat im Kolonialkrieg auf Seiten Portugals gekämpft und gilt als Verräter des antikolonialen Widerstands. Die Geister lassen ihn nicht mehr los – bis zur finalen Schlacht zwischen den Dämonen der Vergangenheit und einer Armee von Musikern mit Balafonen.


 

So 21.4., 19.30h Einführung: M. Manuela Pardal Krühler LINHA VERMELHA

Red Line  

José Filipe Costa  

Portugal 2011   OmeU   83‘

 

Im April 1975, ein Jahr nach der Nelkenrevolution, begann der deutsche Filmemacher Thomas Harlan die Besetzung des herrschaftlichen Guts Torre Bela und die Gründung einer sozialistischen Kooperative durch Landarbeiter*innen zu filmen. Die Aktion wurde zusammen mit dem Film Torre Bela legendär. In seinem filmischen Essay dekonstruiert José Filipe Costa über drei Jahrzehnte später den revolutionären Mythos und untersucht anhand von Gesprächen mit Beteiligten, der Analyse von Tonbändern und Szenen aus Harlans Film die Rolle des Filmteams, das die damaligen Ereignisse nicht nur begleitete, sondern orchestrierte und dramatisierte. Selbstreflexiv hinterfragt Costa aus dem Off auch seine eigene Geschichts(re)konstruktion und die Macht des Kinos.


 

Di 23.4., 20h

Einführung: Robert Stock 48  

Susana de Sousa Dias  

Portugal 2009   OmeU   93‘

 

Die Zahl 48 im Titel des außergewöhnlichen Dokumentar-films steht für die Zeitspanne von 1926–1974, 48 Jahre, während derer Portugal eine faschistische Diktatur war. Zu sehen sind erkennungs-dienstliche Fotografien der Geheimpolizei PIDE, also vom repressiven Regime produzierte Bilder, die Köpfe von politischen Gefangenen en face und im Profil zeigen. Aus dem Off zu hören sind die heutigen Stimmen der abgebildeten Regimegegner*innen, ihre Berichte von der Gefangenschaft, von Demütigungen und Folter. Das minimalistische Konzept lässt in der Montage von Archivbildern und Zeitzeugenaussagen aus Portugal und Mosambik Mechanismen des autoritären Systems zu Tage treten. Es entsteht ein Beitrag zum kollektiven Gedächtnis, ein Archiv gegen das Vergessen und Verdrängen.

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