Prosa und Poesie für den Herbst
- Lara Wuester

- 31. Okt. 2023
- 1 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Dez. 2023

Hier findest du Lesestoff für deinen November. In "Der Igel" fühlt sich Alina Kordick, Psychologiestudentin in München, in die Hoch- und Tiefs einer Beziehung ein. Im Rückblick auf unseren letzten Call "leicht (sein)", berührt die Geschichte zwischenmenschliche Momente, die so leicht sein können und fragt sich dann, wo diese so schnell hin verschwinden. Im Interview "Immer, wenn das Baby schläft" spricht Anna Job (Autorin und Teil des turtle magazin(e)s) mit Anna Kaltwasser, einer unserer Redakteurinnen. Anna Job spricht über Mutterschaft und Schreiben, wie sich beides gegenseitig inspiriert und wie es zusammen passt. Zuletzt gibt es noch Marleen Uebler's Kolumne "Erwachsen werden". Wir im Team sind fast alle Ende der 90er Jahre geboren, was bedeutet das für uns heute? Sind wir eigentlich erwachsen? Sollten wir es sein? Lies Marleens Gedanken zu dem Thema.
Der Igel - Alina Kordick
Wenn du gerade am Laptop, I-Pad oder Computer bist, lade dir die wunderschön gestaltete Version der Geschichte herunter:
Layout: Leonie Winter
Igel
Es ist noch nicht ganz dunkel, aber hell ist es auch nicht mehr und die Leitpfosten reflektieren das Licht der Scheinwerfer, die sich die Straße entlangtasten und im Gesträuch am Straßenrand verlieren. Als wir über die Grenze in die Niederlande gefahren sind, hat es angefangen zu nieseln. Mit dem Zeigefinger fährt Lana Regentropfen auf der Fensterscheibe nach, die Linien über das Glas ziehen, als würden sie uns den Weg zeigen, aber der Fahrtwind reißt sie mit und zersplittert sie in kleine Blasen. Lana pustet gegen die Scheibe und tut so, als wäre sie es und nicht der Wind, der die dunklen Wolken in der Ferne näher schiebt.
Kurz darauf merke ich, wie Lana unruhig wird. Sie wippt vor und zurück, dann lehnt sie sich vor, öffnet das Handschuhfach und kramt darin herum, aber ich frage nicht, was sie sucht. Ich frage mich, wieso es Handschuhfach heißt, und dass ich eigentlich welche für Lana hineinlegen sollte, weil Lana immer kalte Hände hat, auch wenn sie sich weigert, es zuzugeben, und mir erst erlaubt, sie zu wärmen, wenn ihre Finger ganz rot sind von der Kälte. Lana nimmt Hilfe nicht gerne an.
Sie fragt, ob ich einen Kaugummi möchte, wartet meine Antwort nicht ab, sondern hält mir einen hin, mit Wassermelonengeschmack, obwohl nicht Sommer ist, und ich warte darauf, dass sie fragt, wann sind wir endlich da.
Sie dreht am Radio, macht es lauter und dann aus und sagt, dass sie etwas spielen will, Wer bin ich oder so, als etwas Kleines über die Straße huscht, von rechts vom Straßenrand, aber ich bemerke es zu spät, um rechtzeitig zu bremsen. Lana hat es auch gesehen, sie schreit Stopp, aber ich bin nicht schnell genug und schubse ihre Hand weg, als sie versucht, mir ins Lenkrad zu greifen. Stopp, ruft Lana noch einmal, diesmal klar über das Quietschen der Bremsen hinweg. Erst als wir am Straßenrand zum Stehen kommen, fangen meine Hände an zu zittern.
Wir übernachten bei Freunden von Lana. Sie haben mit dem Essen auf uns gewartet, es gibt Pizza und Rotwein und Lana legt ihre Randstücke auf meinen Teller. Sie sprechen Niederländisch miteinander und am Anfang verstehe ich ein paar Worte, aber nach dem dritten Glas Rotwein kann ich ihnen nicht mehr folgen. Ich suche nach Lanas Blick, aber ihre Augen leuchten und sie bemerkt es nicht, auch nicht, als ich sie leicht mit dem Fuß unter dem Tisch anstupse. Ich bin auch da, möchte ich sagen, aber ich bedanke mich nur für das Essen, bevor wir in unser Zimmer gehen.
Am nächsten Tag nehmen wir die Fähre. Wir stehen oben an Deck und Lana macht Fotos von den Möwen, die gegen den Wind anfliegen und uns über das Meer zur Insel begleiten. Guck mal, sagt sie und lacht, als eine der Möwen abdriftet, bevor sie sich fängt und mit dem nächsten Windstoß wieder aufsteigt. Wir spielen Leute gucken, weil es Lanas Lieblingsspiel ist, weil sie sich gerne vorstellt, wie es ist, die Frau zu sein mit dem roten Lippenstift, deren Kleid im Wind flattert, oder der Mann, der seine Tochter auf dem Arm hält, damit sie über die Reling schauen und zusehen kann, wie die Wellen am Schiffsrand brechen, aber irgendwann springt Lana auf, Fähre erkunden, sagt sie, weil sie nie stillsitzen kann. Ich will nach ihrer Hand greifen, aber sie lacht nur, sie ist gleich wieder da. Ich setze mich auf eine Bank und suche den Weg heraus zu unserem Ferienhaus.
Wir sehen Schafe auf der Insel und flache weite Felder, durch die sich die Straße windet, der wir folgen. Als wir ankommen, geht Lana duschen, während ich unsere Taschen auspacke und die Spiele im Schrank verstaue, auf die Lana bestanden hat, auch wenn ich weiß, dass wir sie nicht spielen werden. Bist du fertig, fragt Lana, als sie sich trocken rubbelt, mitten im Zimmer, und eine kleine Pfütze auf dem Boden hinterlässt, die ich wegwische, während sie sich anzieht. Ich drücke Lana eine Mütze in die Hand, weil ihre Haare noch nass sind, und du dich sonst erkältest, sage ich, aber Lana winkt ab. Ich stecke die Mütze trotzdem ein. Durch die Hügel hinter dem Dorf gehen wir zum Strand.
Lanas Haare sind meerwindzerzaust. Der Wind ist so stark, dass er die Schaumkronen der Wellen mit sich reißt und sie über den Sand weht, als würde er kräftig pusten, um sie über den ganzen Strand zu verteilen. Wir versuchen, auf sie zu springen, fast so, wie man Seifenblasen fängt. Wellenschaumspringen, sagt Lana, aber ich springe zu spät ab, sodass meine Füße erst wieder auf dem Boden aufkommen, als die Wellenschaumblase sich schon aufgelöst hat. Selbst den Sand unter den Muscheln weht der Wind fort, sodass es aussieht, als würden sie auf Sandwellen surfen. Ich zeige Lana die Muscheln und Lana hebt eine auf, wischt die Sandkörner aus den Fugen und drückt sie mir in die Hand. Für dich, sagt sie. Die Muschel ist dunkel, fast schwarz, mit einem hellen Kranz am äußeren Rand. Lana breitet die Arme weit zu beiden Seiten aus und lehnt sich gegen den Wind, schau, ich kann fliegen, ruft sie, und dass ich das auch machen soll.
Wir lehnen uns beide gegen den Wind, der uns hält, und Lana lacht und ich frage mich, warum es nicht immer so leicht sein kann, dass wir uns nahe sind.
In der Nacht liege ich wach. Die Matratze ist so weich, dass ich tief einsinke und mich fühle, als würde ich in einer Kuhle liegen. Ich höre Lanas gleichmäßigem Atem zu, die neben mir liegt, in ihrer eigenen Kuhle, dabei möchte ich so neben ihr liegen, dass da nur eine Kuhle ist. Ich denke daran, dass ich näher an sie herangerutscht bin, kurz vor dem Einschlafen, aber Lana braucht Platz, das hat sie gesagt, und mich müde dabei angelächelt.
Ich denke an die Hinfahrt, daran, wie wir angehalten und das Stück zurückgelaufen sind, das ich zu weit gefahren bin. Wir standen da im Regen, es nieselte nicht mehr, sondern schüttete, weil die dunklen Wolken bei uns angekommen waren. Ich schaute Lana an und Lana sah mich an und dann schauten wir beide hinunter auf den Igel auf dem nassen Asphalt, der ganz platt war und alle vier Beine von sich gestreckt hatte, fast wie ein Flughörnchen sah er aus, als wäre er eben abgesprungen und würde jetzt fliegen, dabei bewegte er sich nicht mehr. Regentropfen liefen über Lanas Gesicht, aber es war zu dunkel, als dass ich ihren Blick hätte deuten können, nur das Auto blinkte rot am Straßenrand. Wir standen im Regen und mir war kalt und ich dachte daran, dass ich einen Regenschirm hätte mitnehmen sollen, als Lana aus dem Auto gesprungen und ich ihr gefolgt war. Und jetzt, fragte ich.
Ich denke an den Igel und daran, wie wir still im Regen standen und ich auf Lana gewartet habe, damit sie mir sagt, was wir tun. Lana wollte, dass ich eine Plastiktüte hole aus dem Auto, um den Igel darin einzuwickeln und zu begraben, aber ich meinte, dass schon genug Plastik ist in der Natur, also einigten wir uns darauf, ihn mit einem Stock an den Straßenrand zu schieben und mit Blättern zu bedecken. Fast wie eine Wasserbestattung, habe ich gesagt, wegen des Regens, als wir zurück zum Auto gelaufen sind, aber Lana hat nicht gelacht.
Interview: Immer, wenn das Baby schläft (Anna K. spricht mit Anna Job)

Anna Job ist freischaffende Autorin, Mutter von zwei Kindern und großer Fan von Kompost.
Sie erzählt uns davon, wie Mutterschaft ihr Schreiben verändert hat, wie nahe sich Langeweile und Tod sein können und welche Parallele sie zwischen dem Meer und ihren Erfahrungen als Mutter sieht.
Liebe Anna, du bist freie Autorin und im nächsten Jahr erscheint dein Debüt „Salzige Milch“ beim Kunstanstifter Verlag.
Wie würdest du jemand anderem deine Beziehung zum Schreiben verbildlichen?
Das passendste Bild ist eigentlich der kleine Bleistift im Kopf, der immer da ist und mit dem ich versuche, den Alltag einzufangen. Die meisten Dinge, über die ich schreibe, haben mich schon einmal selbst tangiert, sei es, dass ich sie gesehen oder selbst erlebt habe. Oft mache ich dann schnell eine Handynotiz oder notiere sie auf einem Schmierpapier und setze mich, um sie noch einmal richtig aufzuschreiben, nachts mit Schokolade und koffeinfreiem Kaffee an den Laptop. Irgendwie ist das Schreiben also immer präsent. Ich glaube, das geschieht aus dem Drang heraus, den Alltag zu verarbeiten, sich auszudrücken und kleine Wahrheiten einfangen zu wollen, die ich irgendwo sehe.
Was inspiriert dich besonders?
Auf meinem Instagram habe ich immer gesagt: Mütter, Wasser, Kompost, das sind meine drei Hauptthemen.
Mutterschaft ist etwas, das meinen Alltag total ausmacht und manchmal wird das abgetan als, „Ja, die ist halt daheim“. Als Mutter sitzt man auch oft Stunden lang am Spielplatz und ist ein wenig mit Langeweile konfrontiert, aber gleichzeitig musst du ständig wachsam sein und aufpassen, dass dein Kind überlebt. Von Hundekacke zu giftigen Beeren, über Nüsse zum Ersticken, bis zu Stürzen von Klettergerüsten oder Ertrinken in der Isar. Es sieht also banal aus, aber eigentlich bist du immer auch bei Leben und Tod. Dieses Aufeinanderprallen von krassen Gegensätzen finde ich auch im Garten oder dem Kompost – Es braucht eklige Regenwürmer. Und auch bei „Salzige Milch“ geht es viel um das Meer, das mit seiner gleichen Endgültigkeit und Bedingungslosigkeit wie Mutterschaft daherkommt. Die Welle reißt dich vom Brett, wie das fiebernde Kind dich ans Bett fesselt.
Hattest du Angst vor der Veränderung, Mutter zu werden, auch bezüglich deiner Tätigkeit als freischaffende Autorin?
Ich hatte schon ein bisschen Angst, aber nur vor der Schwangerschaft. Als ich dann schwanger war, war die Angst relativ schnell weg und ich war eher überwältigt von der ganzen Liebe und auch Ruhe, die eingekehrt ist. Statt des ständigen Hustles, der früher herrschte, hatte ich jetzt diese ganze Wärme und Familie und das hat schon auch schöpferische Kraft freigesetzt.
Wie hat diese Veränderung deine Arbeit beeinflusst?
Das hat mein Schreiben nochmal total verändert. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich meine Kinder geboren und mein Schreiben auch ein bisschen.
Vorher hätte ich immer gesagt, dass ich einen Job habe und nebenbei schreibe und mich nicht getraut, das Schreiben vor die Jobs zu stellen. Dass dann irgendwann der Wandel kam und ich gesagt habe, dass ich eine Autorin mit einem Brotjob bin, kam auch durch ein neues Selbstbewusstsein und aus dieser Kraft heraus, jetzt Mutter zu sein.
Lustigerweise habe ich außerdem, bevor ich Kinder hatte, Kinderbücher geschrieben, aber keinen Verlag gefunden und dann kapiert, dass ich einfach nur das kleine Format mag. Als ich angefangen habe, für Erwachsene zu schreiben und mich bei der Bayrischen Akademie des Schreibens beworben habe, wurde ich gleich genommen und habe dort in der Gruppe von Martin Kordić und Lena Gorelik nochmal viel Handwerkszeug gelernt. Und der Bewerbungstext von damals, der wird jetzt beim Kunstanstifter Verlag veröffentlicht. Darin geht es unter anderem auch darum, Ängste zu überwinden und innere Ruhe durch die Geburt zu finden.
Diese Veränderungen bezüglich deiner Arbeit waren vor allem inhaltlicher Natur. Hat sich durch die Mutterschaft auch verändert, wann und wie du arbeitest?
Das ist natürlich ein Thema, bei dem jede Familie gucken muss, wie sie sich aufteilt. Wir hatten uns für das „altmodische Modell“ entschieden: Ich Elternzeit, er Brötchen. Ich hatte total Lust auf die Babyzeit. Trotzdem haben wir beide viel Care-Arbeit geleistet, denn die geht ja über die 9 to 5 Grenzen hinaus. Die Entscheidung kann unter Umständen schwer im Voraus zu treffen sein. Zum Beispiel war mir immer klar, dass Kinder mit eins in die Krippe kommen, weil man ein Jahr Elterngeld bekommt, aber erst als die Kinder dann eins waren, war uns klar, dass wir das viel zu früh finden und haben dann krass gespart, um noch ein Jahr selbst betreuen zu können.
Ich habe dann tagsüber das Kind betreut und Organisatorisches, zum Beispiel die Kommunikation mit der Illustratorin oft auf dem Spielplatz per Voice Message gemacht.

Nachts, beziehungsweise auch beim Mittagsschlaf, war meine Schreibzeit. Man muss dann ganz diszipliniert organisieren: sich erst einen Kaffee zu machen oder etwas zu essen und erst dann gemeinsam ins Schlafzimmer zu gehen, um das Baby abzulegen. Denn wenn das Baby mal schläft, fängt die Schreibzeit gnadenlos an und man will keine Minute mit Kaffee kochen verlieren. Deswegen denke ich, wenn man aus der Elternzeit kommt, ist man eigentlich ein Organisationsgenie.
Welche institutionellen Faktoren sind dir begegnet, die die Vereinbarkeit von Autorinnen- und Mutterschaft erleichtert oder erschwert haben.
Altersdiskriminierung ist ein Punkt, der mich interessiert und der beeinflusst, wie frei man in der Entscheidung ist, zu Hause zu bleiben oder zu arbeiten. Denn selbst wenn du dich frei davon machst, was die anderen sagen, gibt es immer noch den Arbeitsmarkt, auf dem der Karrierepeak etwa um die dreißig rum ist und genau dann hat man aber auch die Kinderphase. Das bedeutet einen großen Druck, alles immer schon sehr früh machen zu müssen.
Wo man Altersdiskriminierung auch sieht, ist beispielsweise bei Stipendienvergaben, die oft bis dreißig oder vierzig begrenzt sind oder auch, wenn dir ein Residenzstipendium angeboten wird, du aber kein Kind mitbringen kannst.
Das hatte ich vorher gar nicht auf dem Schirm. Es gibt aber auch allerlei Institutionen, die sich für eine bessere Vereinbarkeit einsetzen, wie zum Beispiel die Other Writers, die Listen angelegt haben, bei welchen Stipendien man Kinder mitnehmen kann oder auch Kunst und Kind, die versuchen, mehr Awareness für das Thema des Gender-Pay-Gap sowie generell Mütter und Väter in der Kunst zu schaffen.
Die Schwierigkeiten, die mit Mutterschaft einhergehen können, sind auch zum Gegenstand deines Schreibens geworden. Erhältst du diesbezüglich viel Resonanz?
Ja, wenn ich irgendwo öffentlich gelesen habe, war es bisher jedes Mal so, dass danach Leute und meistens schon auch Mütter zu mir kamen, die dann gesagt haben, ja ich fühl´s total.
Es gab aber auch schonmal das Feedback: „Boah was du schreibst ist so krass, dass ich glaube ich niemals Kinder haben will.“
Und berühren dich die Gespräche mit anderen Müttern sehr?
Ja, das berührt mich schon, weil man auch Tipps erhält und dadurch nicht nur in seiner Bubble lebt. Oft ist es bereichernd, zu hören, was die Anderen erzählen, sodass man einfach verschiedene Perspektiven auf dem Schirm hat.
Gibt es etwas, das du anderen kreativ schaffenden Eltern mit auf den Weg geben wollen würdest?
Jemand sagte mir: „Dass du dich das traust, zwei Jahre Care-Arbeit zu leisten. Das würd ich auch so gern, aber dann würde ich ja mit Füßen treten, wofür unsere Mütter gekämpft haben.“
Als Mutter muss man sich oft für alles rechtfertigen. Wenn du nur Kinder hast, bist du eine Glucke, wenn du nur Karriere hast, bist du ein kalter Kühlschrank (lacht) und wenn du beides unter einen Hut zu bringen versuchst, dann bist du halt eine Rabenmutter. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Von daher wäre mein Tipp, sich von gesellschaftlichem Druck frei zu machen und auf sein Bauchgefühl zu hören.
Dann auf jeden Fall nachhaltig zu sparen, weil man natürlich weniger Geld als vorher hat und sich als kreativ schaffender Mensch eh schon in dem Konflikt befindet, andauernd Zeit für etwas zu brauchen, das NOCH ;) kein Geld abwirft. Kinder brauchen weniger Materielles als man denkt, und kaum etwas davon muss neu sein. Und ansonsten netzwerken, sodass man erstens nicht vereinsamt und vielleicht kleine Schreibgruppen mit Kind oder Zooms zu elternfreundlichen Zeiten entstehen. Sich also nicht aufhalten lassen und die Kinder mitnehmen, wo es geht. Oft stand ich wippend, mit Kind im Tragetuch, in einer Schreibwerkstatt.
Und, nicht zu vergessen, man wächst mit seinen Aufgaben.
Kolumne: Erwachsen werden

Erwachsensein ist eigentlich ein Oxymoron. Ein Widerspruch in sich selbst, denn wer ist schon wirklich erwachsen? Diese Frage stelle ich mir oft, und oft vergesse ich auch, dass ich nicht mehr 15, sondern 25 bin.
Kolumne von Marleen Uebler

Ich sitze an dem Esstisch meiner Eltern, den ich kenne, seit ich denken kann und starre nach
draußen in den Garten. Der Kopf meines Vaters wird ab und zu sichtbar, während er die Hecke schneidet, und meine Mutter sitzt am Fenster, vertieft in ihr Lieblingsbuch. Ganz selten, in Momenten wie diesen, fühlt es sich nicht so an, als wäre Zeit vergangen. Ich bin immer noch das Mädchen von damals, meine Eltern sind immer noch 10 Jahre jünger. Doch solche Momente ziehen vorbei, und mit ihnen auch der Wunsch, wieder 15 zu sein. Denn eigentlich weiß ich, dass mein Gehirn diese Zeit im Rückblick nur romantisiert. Ja klar, ich hatte andere Sorgen, aber diese sind mir damals genauso wichtig und schlimm erschienen wie die Heutigen. Aber trotzdem waren meine damaligen Sorgen berechtigt, und vor allem auch zahlreich. Eigentlich war ich nie so richtig unbeschwert, zumindest nicht als Teenie und erstrecht nicht als Erwachsene. Und ich glaube, es geht vielen von uns so. Uns, damit meine ich die Generation der 20 – 30-Jährigen. Uns, das sind die, die eigentlich alles haben. Eigentlich. Ich glaube wir haben alle etwas zu viel: Zu viel Druck, zu viel Internet, zu viel Auswahl, zu viel Verantwortung, zu viel Information, zu viel Ablenkung, zu viel, zu viel, zu viel. Denn obwohl wir in einer modernen Welt aufwachsen, mit Privilegien, Chancen und viel viel mehr als so viele andere haben, haben wir Ängste. Depressionen, Panikattacken, Essstörungen. Damit will ich nicht sagen, dass es diese Krankheiten vorher nicht gab. Aber unsere Generation hat auf jeden Fall mehr Therapie als die Generationen vor uns. Wir sind außerdem die ewigen jungen: Wir bauen keine Häuser mit 31, haben mit Ende zwanzig vielleicht noch keinen Partner oder Partnerin fürs Leben und überhaupt? Für welches Leben? Wir entscheiden uns oft um, was die Berufswahl angeht. Wir werden als „picky“ bezeichnet. Der Anglizismus „work life balance“ wurde eingeführt, weil wir keinen Bock haben 40h zu arbeiten und das Privatleben hinten anzustellen. Hinzukommt, dass wir uns selbst auch nicht hinten anstellen wollen: Mentale Gesundheit und körperliche sind uns wichtiger denn je.
„Werd doch endlich mal erwachsen!“
„Werd doch endlich mal erwachsen!“, den Satz habe ich schon früh in meiner Jugend hören müssen. Und ich habe auch schon früh den Eindruck bekommen: Wir sind die Generation, die die anderen über uns als verweichlicht finden. Wir hängen nur am Handy, wir passen gar nicht mehr richtig auf. Social Media macht uns einsam. Wir wollen gar nicht mehr richtig arbeiten, so wie früher. Wir werden lieber Influencer. Wir machen alle Therapie, aber was haben wir denn schon Schlimmes erlebt?
Aber eigentlich überrascht es nicht: Andere, ältere Generationen, schimpfen seit jeher über die nachfolgenden. Stichwort Sokrates. Weil die Dinge nun mal anders werden. Trotzdem denke ich, dass wir schon irgendwie so sind. Wir zögern das „Erwachsenwerden“, im eigenen Heim mit Partner:in und Kindern hinaus. Lieber studieren wir nochmal was Neues, arbeiten erstmal Teilzeit, wenn wir können, leben lieber nochmal das WG-Leben. „Erwachsen“ ist das „Erwachsenwerden“ unserer Eltern. Die in meinem Alter schon in einer ganz anderen Stadt mit einer Ausbildung in der Tasche ihr eigenes Geld verdient haben. Und ich? Ich fange jetzt erstmal meinen Master an. Es ist ein anderes “Erwachsen werden”: Eines, in dem die Krisen und die ungewisse Zukunft uns vielleicht deshalb dazu veranlassen, dass wir uns mehr Zeit lassen.

Und trotzdem sind wir die Generation, die sich extremen Druck aussetzt. Denn nicht jede:r hat die Freiheiten, die ich habe. Meine Eltern verstehen mich bis zu einem gewissen Grad. Andere machen sich Druck, Geld zu verdienen, die oder der Beste zu sein in Ausbildung, Studium oder Beruf. Wir müssen modern sein, erfolgreich sein und vor allem mit der schnelllebigen Welt, in die wir geboren wurden, klarkommen. Wir suchen Abenteuer und Sicherheit gleichzeitig. Wir sind introvertiert und extrovertiert gleichzeitig. Wir sind alles gleichzeitig. Es ist so unglaublich viel, das auf uns einprasselt. Und ich will Fortschritt, soziale Medien und so weiter damit gar nicht verteufeln. Es ist eher, die Welt, in der wir leben, in der Freizeit und Arbeit immer mehr vermischt werden, und jetzt Apps auf meinem Handy beides sind. Und dass ich mir ständig sage: ich habe Zeit, alles ist gut, kein Stress und trotzdem gestresst bin, weil ich nicht so erfolgreich wie andere bin. Diese Liste könnte ich ewig weiterführen. Es ist das immer on sein, das immer da sein und die kurze Distanz zwischen Arbeit und Freizeit, die uns Energie rauben kann. Die uns Anxiety gibt. Das ständige Tracken des Fortschritts, das Vergleichen mit uns, mit anderen, mit der Welt. Es ist das immer on sein, das immer da sein und die kurze Distanz zwischen Arbeit und Freizeit, die uns Energie rauben kann. Die uns Anxiety gibt. Das ständige Tracken des Fortschritts, das Vergleichen mit uns, mit anderen, mit der Welt.
Irgendwie dachte ich immer, als ich ein Kind war, dass man als Erwachsener manche Dinge einfach weiß. Dass die Antwort, auf die Frage, einem irgendwann kommt und man sich nicht mehr ständig umdreht. Bisher kann ich nur sagen, dass ich mich noch nicht erwachsen fühle. So erwachsen wie mir meine Eltern immer vorkamen als ich klein war. Aber vielleicht ist es das auch? Dass man eigentlich immer alles irgendwie macht und nie weiß, ob es jetzt das ist. Der Traum, den alle leben wollen. Der richtige Beruf, der richtige Ort, die richtigen Menschen. Ich finde, wir sollten das Erwachsenwerden abschaffen. Denn wer, wenn nicht die Teenager und Kinder, haben uns gezeigt, dass man schon unter 18 Erwachsener sein kann, als die Politik zusammen? Erwachsensein, wird immer mit Weisheit und Erfahrung gleichgesetzt, aber ich habe das Gefühl, dass das nicht so stimmt. Wenn wir als Erwachsene so weise und erfahren wären, dann müssten wir ja mal aus unseren Fehlern lernen. Aber das tun wir, als Gesellschaft, nicht so wirklich. Es ist nicht so leicht in einer Welt wie unserer erwachsen zu werden. Mit einem Leben, das voller Ablenkungen und Möglichkeiten ist und gleichzeitig Verantwortung und Krisen mit sich bringt. Ich weiß nicht, ob ich jemals erwachsen werde, so wie meine Eltern. Vielleicht bleibe ich lieber noch so jung und dumm wie jetzt. Denn unsere Zukunft ist ungewiss, und das Leben ist kurz.




Kommentare