Outfits. Gedichte (von Heike Fröhlich und Ricarda Kiel) – Feminismus oder écriture féminine ?
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Outfits ist feministisch, bild- und sprach gewalt[tät]ig, erreicht jedoch nicht ein Auflösen der Strukturen, ein Entfernen und eine Entstereotypisieren von Sprache oder auch „weiblichem“ Schreiben – kurz: die dekonstruktivistischen Ziele der écriture féminine. Dafür aber einiges anderes. Dies ist ein kurzes Review über den Gedichtband.
Ich trage Falten
denn ich habe genug Haut dafür
eine Spinnwebe
-„Mein Outfit für einen Spaziergang“
“Schreib Dich: es ist unerlässlich, dass dein Körper Gehör bekommt” (Cixous: 44)
Outfits verschafft weiblichen* Körpern Gehör, zeichnet sie, gibt ihnen einen Geruch, ein Gefühl, eine Farbe.
vielleicht Puschelpantoffeln, sonst barfuß
dünn-opake Overknees, rosé gemuskelt
blauer Marmor in den Schenkeln aus Adern
helle Palette Soft Pastels und Nudes, Ivory
Vanille mit Zitronenchiffon, Milchschliere
Sommerwölkchen-Bleu, Cirrus, Ozongeruch
-„Mein Outfit für die Niederkunft“
Es geht um Körpergefühl, Muttersein, Abtreibung, Herkunft, Sexismus, Konsens, Anonymität, Würde im Alter und viele weitere Themen. Outfits spricht über ein Thema, was weltweit in der ‚zivilisierten‘ Gesellschaft noch ein Problem ist: unsere Hüllen hinter denen wir uns verstecken und die uns ausdrücken, die wir als Frauen* nie ganz fallenlassen können und die uns einschränken, festhalten, einengen und manchmal auch freilassen. Outfits ist wütend, suggestiv, absurd, abstrakt, vulgär und kommt manchmal mit der Holzhammer-Message um die Ecke. Manchmal lese ich aber auch ein mir eher rätselhaftes Gedicht zum dritten Mal, die herrlich bildliche Sprache wie beim Blättern durch ein Fotoalbum genießend – aber irgendetwas fehlt. Outfits ist feministisch, bild- und sprach gewalt[tät]ig, erreicht jedoch nicht ein Auflösen der Strukturen, ein Entfernen und eine Entstereotypisieren von Sprache oder auch „weiblichem“ Schreiben – kurz: die dekonstruktivistischen Ziele der écriture féminine. Dafür aber einiges anderes. Dies ist ein kurzes Review über Feminismus und Lyrik.
In den 70ern entstand mit u.a. Hélène Cixous und Julia Kristeva eine neue Tradition weiblicher Schriftsteller*innen, die die Suche nach einer enstereotypisierten Sprache zu verschriftlichen versuchten. Sie wollten Sprache in Tradition von Derrida dekonstruieren und entmächtigen, Strukturen aufbrechen anstatt nach ihnen zu suchen, neue Verwendung und Bedeutung von Zeichen kreieren und statieren, um damit die Realität zu verändern und Politik poetisch zu fassen.
Es ist unerlässlich, dass die Frau mit ihrem Körper schreibt, dass sie die unbezwingliche Sprache erfindet, die die Abschrankungen, Klassifizierungen und Rhetoriken, Vorschriften und Kodierungen kaputtschlägt. Dass sie die letzte Rückzugsreserve des Diskurses überflutet, durchdringt, sich darüber hinwegsetzt, auch über jenen Diskurs, dem es nichts ausmacht das Wort ›Schweigen‹ aussprechen zu müssen. (Cixous: 51)
Dies stellt offensichtlich das Projekt der écriture féminine vor das Problem, sich jeglicher Festlegung entziehen und sich über jeden Diskurs (=Weltanschauungen, Debatten, Machtkonstellationen, öffentliche Diskussionen, Allgemeinmeinung etc.) hinwegsetzen zu wollen – gleichzeitig aber eine neue Tradition/Theorie zu begründen und Teil des (feministischen) Diskurses zu werden. Trotzdem ist der Ansatz Sprache zu nutzen, um Strukturen zu brechen ohne neue zu schaffen, einer, dem der radikale Feminismus manchmal fehlt. Anstatt sich darüber hinwegzusetzen, kreieren sie neue Strukturen, neue Hierarchien, neue Feind- und Fremdbilder und verhindern so doch sich und ihren Körpern tatsächlich Gehör zu verschaffen. Schreien und debattieren ist nicht dasselbe – und mit Wut und Provokation gewinnt man meist auf lange Sicht nicht viel.
ich bin eine Hexe und fick die anderen
ich brauche keinen Bachelor
und kein Lavendelspray
und gib mir mal ne Kippe
und jetzt ist gut
-„Mein Outfit für die Taghexe“
Outfits lässt den/die Leser*in Wut spüren, und ich bin weit davon entfernt diese Wut nicht zu spüren, wenn es um horrende Preise bei Verhütungsmitteln, Menstruationsprodukten, Hinterherpfeifen, die Wiesn und das Gefühl einen Abschluss haben zu müssen, um ernst genommen zu werden, geht. Ich spüre diese Wut auch. Aber wen erreichen wütende [lyrische] Schreie?
[…]
ich werde nichts Weiches nach außen tragen
ich werde nichts Weiches nach außen tragen
jedoch darf nach innen Vlies sein
dieser Tragekomfort auf der Nacktheit
und mein Gear glänze in der Sonne
die Sicherheit kommt von feinen Strukturen
modern: Gitter, Grid vielleicht, Lichtgitter
Neonweiß mit mattschwarz
ich sauge auf, ich diffundiere
ich strahle ab, ich funktioniere
[…]
- „Businessoutfit“
Den Mantra Wiederholungen am Anfang folgen detaillierte Ausführungen über das Outfit, nach außen Panzer nach innen Fließ. Emotionen dürfen nicht auf der Haut getragen werden, am Arbeitsplatz ist härte, klare Linien und 90 Grad Winkel gefordert – möchte man erfolgreich sein und gleichberechtigt behandelt werden im „Besprechungsraum“.
„mein Außenanzug ist aus harten Materialien“
Der Parallelismus der beiden Sätze am Ende des obigen Abschnitts unterstreicht das maschinenartige Abwehrgeschütz, das eine Frau in der Businesswelt an den Tag legen muss.
„das Schild hochfahren/ die Kanonen entsichern“
Sprachlich mehr als erfrischend voller origineller Metaphern und fetziger Rhetorik frage ich mich trotzdem, ob das Problem erneut zu benennen (denn Sexismus am Arbeitsplatz ist nicht unbedingt ein neues Thema in der öffentlichen Debatte) wirklich zur Lösung beiträgt. Müssen wir nicht weiter denken und mit der Anklage und Problematisierung neue Bilder aufmachen, neue Dialogfenster öffnen, um weg von der Dichotomie weiblich/männlich zu kommen? Uns mehr auf die Suche nach einer Freiheit von Strukturen machen? Das tut Outfits in meinen Augen nicht – es kritisiert Strukturen – aber es bricht nicht mit ihnen.
Was Outfits macht, ist Körper schreiben. Situationen in Outfits kleiden und uns spüren lassen, wie der weibliche* Körper darunter manchmal verschwindet, manchmal aufleuchtet. Die Gedichte beleuchten Aspekte von Femininität, über die zwar zunehmend aber vermutlich nie genug in der Öffentlichkeit gesprochen wird: die Ästhetik von Normalität, Haaren, Krampfadern und Jogginghosen. Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann, diese ohne Bezug auf den weiblichen* Körper zu beschreiben, sondern von Körpern generell.
Wo ich finde, dass dieses Projekt durchaus gelingt ist im Gedicht „Mein Outfit für den Auftritt im Seniorenheim“. Auch wenn das lyrische Ich eine alte Frau ist, ist die Thematik eine, die Menschen und die Relevanz ihrer Körperlichkeit generell anspricht.
beugt die Häupter, diese Rampe wird zur Galatreppe
überknielang, ein Gardinenschnürl im Saum
glimmrig und glatt mit Blei, Projektile am Schienbein
im Beleg steht der Text, gestickt und versteckt
ich verfüge, man möge mich nicht beatmen
man möge mir alle Ringe küssen stattdessen
mir in den Nacken pusten von Pfingsten an
- „Mein Outfit für den Auftritt im Seniorenheim“
Man möge sie nicht beatmen. Zumindest dieser eine Schritt zum würdevollen Sterben sei ihr gegönnt. Im Subtext: wenn Sterben schon nicht ihre eigenen Entscheidung ist im Altenheim, dann wenigstens das Outfit für den letzten Auftritt. Würde im Altenheim. Würde im Sterben. Ein Heim ohne Selbstbestimmung und Würde? Ein Heim, wo man nicht mehr Herr*in über das eigene Leben, den eigenen Körper ist? Ein Heim, das einem die Ehre nimmt und mit Kantinenfraß und Fernsehen zu vorgegeben Uhrzeiten ersetzt? Ein All-inclusive Urlaub der einem die Individualität und die Wahl der eigenen Outfits klaut?
ihr seid meine Kinder, wenn ich euch mag
ich hatte eine Tochter eine Folge lang
sie wuchs sehr schnell und musste dann gehen
es folgte ein neues Monster, die Woche drauf
- „Mein Outfit für den Auftritt im Seniorenheim“
Sind wir Kinder die Monster, die unsere Eltern ins Heim stecken und ihrer Würde berauben? Ist Würde reduziert auf das altersgerechte Outfit und die Ebenerdigkeit der Wohnung? Wenn man sich richtig anzieht, ist man dann auch noch im Heim würdevoll? Das Thema hat eine physische und psychische Relevanz in einer alternden Bevölkerung wie Deutschland und weist so über den Kontext der weiblichen* Körperlichkeit auf die menschliche.
Der Gedichtband ist eine Reise durch die (weibliche*) Wut und was dahinter steht, auf der Suche nach dem inneren Selbst, bei dem es dann auch angelangt, als letztes Gedicht. „Mein Outfit für die Suche nach der inneren Wahrheit“ könnte auch der Titel des Bandes sein, denn es ist eine Suche nach einer Wahrheit unter all den oben genannten Themen – und Outfits. Nach einer Rolle, einer Identität in diesen Situationen. Ein Herantasten an das, was das anonyme lyrische Ich der Gedichte verbindet, und sich wie ein roter Faden durch die Seiten zieht. Es gibt keine Namen der Frauen, keine Zuordnung der Erfahrungen - sondern kuratierte Gemälde in einem Museum. Materialien mit denen das Gehirn beim Lesen arbeiten kann und soll.
Nur hätte Outfits noch viel mehr können, hätte es sich mehr auf die Dekonstruktion der klassischen weiblichen* Identität fokussiert, als die problematischen Situationen/Krisen dieser auf dem Weg der Selbstfindung poetisch zu wiederholen.
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Ich bin gespannt darauf, was ihr denkt. Ich bin mir bewusst, dass es hierzu bestimmt andere Meinungen geben wird. Solange wir die Kommentarfunktion der Website noch nicht eingerichtet haben [coming soon], freue ich mich auf eine offene Diskussion entweder auf Instagram in den Kommentaren unter dem Post zu dem Review, oder per Mail.
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Wenn ihr jetzt neugierig seid bestellt euch den ganzen Band unter http://material-s.blogspot.com/p/materialien-m.html. An dieser Stelle möchte ich auch Lisa Jeschke vom Materialien Verlag München noch einmal herzlich für den Band danken.
Die Websites und mehr von den Autorinnen gibt es unter
www.heikefroehlich.de und www.ricardakiel.de
Ricarda Kiehl gibt außerdem kostenlose Schreibworkshops auf Zoom (zumindest momentan). Hier gibt es mehr Info: https://www.ricardakiel.de/outfits-ein-workshop/
Beide Autorinnen des Gedichtbandes sind im feministischen Künstlerkollektiv Wepsert aktiv:
https://www.wepsert.de/
Quellen:
Cixous, Hélène. Das Lachen der Medusa. In: Hutfless, Esther et al. (Hg.). Hélène Cixous: das Lachen der Medusa zusammen mit aktuellen Beiträgen. Wien: Passagen Verlag 2013, S. 39-60.
Fröhlich, Heike und Ricarda Kiel: Outfits. München: Materialien 2021. (Es handelt sich bei den Zitaten lediglich um Ausschnitte, nie um vollständige Gedichte)