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Die Oper im Dschungel- ein sinnloser Film?

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In den letzten Wochen habe ich immer wieder versucht, Interpretationsansätze und Bedeutungszusammenhänge in dem Film 'Fitzcarraldo' auszumachen. Und immer wieder bin ich daran gescheitert. Jegliche Suche nach Bedeutung endete im Nichts und immer wieder stellte ich mir dieselben Fragen. Im Folgenden formuliere ich Gedanken und wage Antworten.

'Fitzcarraldo' ist ein Film- mehr als ein Film- von Werner Herzog, einem Protagonisten der 60er/70er Jahre Bewegung des 'Neuen Deutschen Films'. Mehr als ein Film? Fitzcarraldo bewegt sich in einer Sphäre zwischen Fiktion und Realität und überbrückt unüberwindbar gedachte Grenzen zwischen Hochkultur und Wildnis.

Das Meisterwerk dreht sich um Brian Sweeney Fitzgerald (Klaus Kinski), auch Fitzcarraldo genannt, der die Oper in den Dschungel bringen möchte. Um sein Vorhaben zu finanzieren, erwirbt Fitzcarraldo vom peruanischen Staat Ländereien und einen alten Dampfer. Die Reise zu seinem jüngst erworbenen Landbesitz gestaltet sich als äußerst hindernisreich, da er, um diesen zu erreichen, mit seinem Schiff lebensgefährliche Stromschnellen bezwingen muss. Um dem zu entgehen, entscheidet Fitzcarraldo sich, die Route auf einen benachbarten Fluss umzulegen und mit dem Schiff an einer Stelle, an der nur ein verhältnismäßig kleiner Berg die zwei Flüsse noch trennt, gerade diesen Hügel zu überqueren, damit er auf der anderen Seite schließlich oberhalb der gefährlichen Stromschnellen ankommt. Bei diesem Vorhaben helfen ihm peruanische Ureinwohner, die in Fitzcarraldo eine göttliche Eingebung- einen Propheten sehen. Seine Krone ist sein gold-blondes Haar, sein Zepter das Grammophon und die Klänge des Heldentenor Caruso, mit denen er die urwäldliche Wildnis zähmt. Die Parallele zu Taminos Zauberflöte, die nichts weniger zu vollbringen vermag, als den bösen Monostatos und alle wilden Tiere des Waldes zu bändigen, drängt sich hier geradezu auf.
Leider ist die Krux an der ganzen Geschichte, dass die Ureinwohner in Fitzcarraldo ihren Retter sehen, der mit seinem Dampfer die unheilbringenden Geister der reißenden Gewässer vertreiben wird und lösen sein Schiff nachts, sodass es vollkommen unkontrollierbar durch den rasenden Strom- zurück zu seinem Ausgangspunkt taumelt.

'Fitzcarraldo' kann also durchaus als eine Parabel zur Sisyphos-Legende verstanden werden. In erster Linie ist es jedoch ein Film, der nur um seiner selbst willen existiert. Als Zuschauerin frage ich mich wieder und wieder, ob mir eine ausgedachte, fiktionale Geschichte erzählt wird oder ob alles, was passiert, Wirklichkeit war. Ob die Schlange wirklich gebissen hat. Ob der junge Indigene wirklich unter dem Schiff eingeklemmt und umgekommen ist. Ob Kinski, Herzog und der Rest der Besatzung wirklich immer wieder um ihr Leben bangen mussten. Ob das Schiff wirklich einen Berg überquert hat. Und ja, vieles von dem, was wir sehen, ist wahre Begebenheit. Werner Herzog vollbringt das Unvorstellbare und überquert mit seinem Dampfer einen Berg- nur damit es kurze Zeit später wieder an seinem Ausgangspunkt landet. Er begibt sich selbst und teilweise auch sein Team in Lebensgefahr. Warum? Weil er muss. Er ist Getriebener seiner Selbst- ist er Sisyphos? Ein Leben lang kann er nicht aufhören, sich an seine menschlichen Grenzen zu bringen- immer und immer wieder.

Und was hat die Oper, was hat Caruso in diesem Film verloren? In seinen Aufzeichnungen, die großenteils während der Dreharbeiten entstanden sind und den äußerst passenden Titel 'Conquest of the Useless- Reflections from the Making of Fitzcarraldo' tragen, schreibt Herzog (hier in der englischen Version) Folgendes: „(…)And the Grand Emotions in opera, often dismissed as over the top, strike me on the contrary as the most concentrated, pure archetypes of emotion, whose essence is incapable of being condensed any further. They are anxioms of emotions”. Oper und Dschungel sind sich in meinen Augen so nah wie fern. Einerseits kann die Oper als die opulenteste und dekadenteste Kunstform gesehen werden- der Akt des Besuchens einer Opernvorstellung als Klimax der Zivilisiertheit und der Inszenierung gesellschaftlicher Praktiken und der Dschungel als Ort abseits jeglicher Zivilisation, als Ort, an dem nur Naturgesetze walten, als primitiver Fleck Erde ohne jedes Erbarmen.
Und doch sind sich beide in ihrer Dichte gemein. Die Oper in ihrer Dichte an emotionaler Essenz- wie Werner Herzog sagt- „(…)incapable of being condensed any further“ und der Dschungel in seiner Dichte an Leben. Genau wie die Konzentration der Summe aller möglichen Gefühle in der Musik, ist dieser Urwald undurchdringlich, er ist ursprünglich, nicht bezwingbar und letztendlich die Essenz, der Humus unserer Existenz.

Der Mythos der Dreharbeiten konkurriert mit dem Mythos des Fitzcarraldo. Was bei diesen Dreharbeiten alles vor sich ging, mit welch unvorstellbaren Herausforderungen das Team konfrontiert war und was Fiktion und was Realität war, das ist in dem Dokumentarfilm 'The Burden of Dreams' zu sehen. Darüber hinaus lege ich natürlich Jeder und Jedem, auch wenn ich die Geschichte in manchen Teilen schon vorweggenommen habe, das Meisterwerk 'Fitzcarraldo' ans Herz. Es geht hier nämlich um weit mehr als nur die Handlung an sich.

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